OB
MIT LEIB UND SEELE - Fritz Stahl beendet im Frühjahr 2008 nach 18-jähriger Tätigkeit seine Karriere als Oberbürgermeister der Stadt Traunstein und zieht hier ein umfangreiches Resümee über seine lange Amtszeit
Herr Stahl, achtzehn Jahre sind vergangen, in denen Sie als Oberbürgermeister die Geschicke der Stadt lenkten. Zufrieden mit dem
Erreichten?
Ja, ich bin zufrieden. Maßgeblichen Anteil an dem Gefühl haben die
ausgezeichne- te Zusammenarbeit im Stadtrat, das gute Verhältnis „Bürger und Stadt“ sowie die gute Weiterentwicklung
Traunsteins.
Wie würden Sie Ihr Amtsverständnis beschreiben? Sahen Sie sich eher als
Mode- rator, leitender Angestellter der TS AG, Vorstandsvorsitzender eines
Dienstleis- tungsunternehmens oder Chef der Stadtverwaltung?
Da ist wohl von all den Begriffen etwas dabei. Als Oberbürgermeister bin ich
Vor- sitzender des Stadtrates und habe mich dort auch um ein gutes Klima zu bemü-
hen, damit in diesem Beschlussgremium intensiv gearbeitet werden kann.
Gleich- zeitig bin ich Leiter der Stadtverwaltung, habe also Gesetzes- und Staatsauftrag, die Verwaltung so zu leiten, dass sie ihren Aufgaben gerecht wird. Meine wichtigste Aufgabe sah ich
darin, der Allgemeinheit zu dienen, Gemeinschafts- und Gesamt- interessen der Stadt über Einzelinteressen zu stellen, die Anliegen der einzelnen Bürger dabei aber trotzdem nicht zu vernachlässigen, was nicht immer leicht war. Aus all diesen Aufgaben kommt eine definierbare Bezeichnung kaum zustande. „Allzuständigkeit“ und fachliche Zuständigkeit stets zu kombinieren, ist jeden Tag eine neue
Aufgabe.
Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer hat einmal gesagt, dass „die Verwandlung des Amtes durch den Menschen etwas länger“ dauere als „die
Ver- wandlung des Menschen durch das Amt“. Welche Veränderungen haben Sie
bis- her an sich selbst festgestellt? Hat sich im Lauf der Jahre Ihr Amtsverständnis verändert?
Eine schwierige Frage, weil man nicht einschätzen kann, warum man sich wandelt oder ändert. Jeder Mensch ändert sich im Laufe seines Lebens zwangsläufig und ich denke, dass verwebt sich ineinander. Ich erinnere mich da stets an die
Kurz- geschichte von Berthold Brecht: Herr K. trifft einen alten Bekannten. Dieser sagt zu ihm: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ „Oh“, sagte Herr K. und
erbleichte, „so möchte es mir nicht gehen.“
Was hat Sie in den Jahren am stärksten emotional berührt?
Im Rückblick auf achtzehn
Jahre ist das sehr schwer einzuschätzen. Am deutlich- sten sind schon die Erlebnisse in der jüngeren Vergangenheit, wobei mir vor allem der 12. August 2002 in Erinnerung geblieben ist, weil er der wohl schwierigste Tag meiner Amtszeit war. Traunstein, stark von Hochwasser bedroht, musste mit
ei- nem Deichbruch an der Straße am Traundamm rechnen. Die Geschehnisse sind mir sehr nahe gegangen, was ich allerdings erst Tage später realisierte, weil sich während dieses Tages gar keine Gelegenheit ergab, über persönliche Emotionen nachzudenken. Der Tod eines Feuerwehrmannes bei der letzten
Schneekatastro- phe war ein trauriger Punkt in meiner Amtszeit, den ich nicht so einfach vergessen kann.
Woran hatten Sie
Freude?
Im Augenblick habe ich Freude daran, dass die Bauarbeiten der Nordumfahrung voll im Gange sind, dass für den Hochwasserschutz wieder ein weiterer Schritt
ge- tan wird und dass die Haslacher Brücke erneuert wird. Wesentliche Geschehnisse waren sicher der Neubau des Rathauskomplexes - erfreulicherweise vom Stadtrat einstimmig beschlossen. Auch die Neugestaltung des Stadtplatzes gehört dazu, die das Wiedererstarken der Innenstadt eingeleitet
hat.
Wie empfanden Sie die Begegnung mit Papst
Benedikt?
Eine sehr berührende Begegnung, geprägt von Freundlichkeit und Feierlichkeit, fast so wie bei einer familiären Begegnung. Ja, so habe ich die Stimmung des 8. Februar in Rom in
Erinnerung behalten.
Glauben Sie, dass Sie gegen Ende Ihrer Amtszeit Dinge deutlicher, offener, freier ansprechen können?
Ehrlich gesagt, sind Sie nicht der Erste, der mich darauf anspricht, ob ich die
letz- ten Monate etwas lockerer angehen kann. Aber ich bin bis zum 30. April 2008 im Dienst und es wird bis dahin in der gleichen Intensität weitergearbeitet, wie bisher. Ich erlaube mir zum Abschluss meiner Dienstzeit als OB jedenfalls keine
Extrava- ganzen.
Was war während Ihrer Amtszeit nicht
durchsetzbar?
Finanzielle Engpässe sorgten schon für Einschränkungen von Baumaßnahmen, die wir sonst angegangen wären. Als Beispiel nenne ich die Franz-von-Kohlbrenner Hauptschule, die wir gerne schneller und intensiver ergänzt und erneuert hätten.
Zukunftsaufgaben?
Eine der wichtigsten ist, dass die Schulstadt Traunstein noch eine weitere Schule bekommt, die über die Bedeutung von Gymnasien und Fachoberschule
hinaus geht. Ich denke da an eine Fachakademie oder eine Fachhochschule.
Weiterent- wicklung ist auch beim großen Bahnhofsgelände notwendig, die Maßnahmen sind bereits eingeleitet. Natürlich gibt es noch zahlreiche andere Projekte, die
umge- setzt werden sollten, viele davon sind allerdings von der Landespolitik abhängig sowie von gesellschaftlichen Gegebenheiten. Sanierungsmaßnahmen werden noch in der Innenstadt erfolgen müssen und, was mir persönlich besonders wichtig ist, unsere Wohnhäuser brauchen Aufzüge. Die Menschen werden
erfreulicherweise immer älter und sie sollen auch weiter am normalen Leben teilhaben können. Das funktioniert aber nur, wenn sie auch die Treppen überwinden können. Ansonsten sehe ich keine weiteren großen
Defizite...
...außer den
Finanzen.
Ja, außer den Finanzen. Aber auch da hat sich einiges getan. Wir hatten schon einige sehr gute Jahre, sonst hätte auch das Großprojekt „Rathaus“ nicht starten können. Mittlerweile verspüren wir auch wieder eine leichte Besserung der
Finanz- situation, allerdings möchte ich schon betonen, dass die Stadt über all die Jahre hinweg liquide war und keine Haushaltssperren erlassen musste. Es wurde nur eben sparsam gelebt, und nun können wir die Schulden ordentlich tilgen, was
wie- der Freiräume für die nächsten Jahre schafft. Entscheidend für uns war, dass wir auch in den „schlechten Jahren“ nie aufgehört haben, zu investieren - vor allen in den Kanal- und Straßenbau. Wir haben demnach genau so gearbeitet, wie man es in der Schule lernt: In wirtschaftlich schlechten Zeiten investieren, damit die
Fir- men und damit verbunden auch die Menschen, Arbeit erhalten.
Und weil Geld billig
war.
Ja, auch das war ein Vorteil, den wir damit genutzt
haben.
Gibt es Dinge, die Sie lieber anders gemacht hätten?
Bedeutende Dinge nicht. Aber es gibt ein paar wenige Bauangelegenheiten, bei denen ich mir schon denke, dass die Alternativplanung vielleicht besser gewesen wäre. Das hat aber nichts mit städtischen Baumaßnahmen zu tun, sondern mit
Baugenehmigungsverfahren.
Was hat sich politisch verändert?
Für jemanden der laufend und an allen Phasen der Stadtpolitik beteiligt ist, schwer zu definieren. Ich empfinde es einfach als ein ganz normales
Fortschrei- ten. Mir war es immer wichtig, dass die Fraktionen im Stadtrat zusammenarbeiten und bei aller Eigenständigkeit die jeder braucht, auch gegenseitig Rücksicht
auf- einander genommen wird.
Welche Vorzüge bietet die Stadt Traunstein, und mit welchen Nachteilen muss sie heute noch fertig
werden?
Traunstein ist zentraler Mittelpunkt des Chiemgaus, Schulstadt, Behörden- und Gesundheitszentrum, hat, was uns die Tourismusmanager bestätigen, in den letzten Jahren einen Qualitätssprung nach vorne gemacht und verfügt über die meisten Arbeitsplätze in der Umgebung. Nachteile sehe ich
keine.
Ein wesentliches Kennzeichen einer effektiven
Standortpolitik ist eine voraus- schauende Gewerbepolitik. Wie ist der Stand der
Dinge?
Wir haben in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe neuer Gewerbegebiete erschlossen und bereits vorhandene erweitert. Der Abzug der Bundeswehr war für die Stadt ein großer Einschnitt, sowohl in wirtschaftlichen als auch in sozialer
Hin- sicht, auch die planerischen Gegebenheiten blieben davon nicht verschont. Die Umgestaltung des Geländes zum „Gewerbepark Kaserne“ ist so gut wie
abge- schlossen, als nächste Aufgabe sehe ich die Reaktivierung brachliegender
Bahn- flächen, die sich ebenfalls sehr gut für Gewerbeansiedlungen eignen. Erste
Ge- spräche mit den betreffenden Eigentümern haben schon positive Signale
gesetzt.
Angenommen, Traunstein wäre reich, was würden Sie noch
umsetzen?
Eine verführerische Idee. Natürlich fallen mir da eine ganze Reihe von Projekten ein, die man viel leichter finanzieren könnte. Die Neugestaltung des
Maxplatzes zum Beispiel, unsere Hauptschule könnte völlig neu konzipiert und auch die
Sportplätze verbessert werden.
Man könnte das Gefängnisgelände kaufen und an den Rand der Stadt
verlegen.
Wenn das so einfach wäre. Der Freistaat Bayern befürchtet dabei einen höheren Personal- und Kostenaufwand, weil der Weg zu den Gerichten länger
wird.
Das müssen Sie mir erklären.
Die „Vorstellungen“ vor Gericht erfordern dann einen längeren Weg, was einen wesentlich höheren Personalaufwand bedeutet. Ansonsten wäre das schon eine interessante städtebauliche Entwicklungsfläche, obwohl das Haus ja bereits unter Denkmalschutz steht. Und jetzt suchen Sie mal einen Mieter für ein solches
Ob- jekt, das wird sicherlich nicht einfach.
Sehen Sie die Versorgung älterer oder wenig mobiler Menschen im Zentrum auch in der Zukunft noch gewährleistet?
Ja, das sehe ich dann gewährleistet, wenn die vorhandenen Lebensmittelgeschäf-
te auch gut frequentiert werden. Seitens der Stadt haben wir mit der Errichtung von Aufzügen unseren Teil dazu getan, diese Frequentierung auf den Weg zu bringen. Es liegt nun an den Kunden, was sie daraus machen, ein Geschäft muss sich auch
rechnen.
Deutschland ist ein reiches Land, doch der Reichtum konzentriert sich in der Hand weniger Großkonzerne und Großbanken, während die Masse der Bevölkerung immer mehr belastet wird. Ihr Kommentar
dazu?
Ich sehe die weltweite Globalisierung kritisch, bin ein Befürworter kleinerer
Ein- heiten und spreche mich klar gegen die oftmals gepredigte Fusionitis aus. Mir persönlich sind kleinere Unternehmen, die noch einen
Bezug zu ihren Kunden haben, wesentlich lieber. Dies fördert auch die Identifikation mit der Region, in der man wohnt. Mein politisches Empfinden dazu würde ich gerne so formulieren: Jeder muss von seiner Arbeit leben können, egal ob er sie mit dem Kopf oder mit der Hand
erledigt.
Eine Botschaft an die jungen Bürger.
Am besten ist es, wenn
Jugendliche am städtischen Leben teilnehmen, sich für die
Angelegenheiten der Allgemeinheit interessieren und an Aktionen mitwirken. Vor zwei Jahren, um ein Beispiel zu nennen, hatten sich Schüler an einer
Naturbau- maßnahme am Grundbach mit großer Freude beteiligt und dabei kennen gelernt, wie man mit diesen Dingen umgeht. Bei meinen Gesprächsrunden mit Schülern, die in der Beliebtheitsskala aller Konferenzen übrigens ganz vorne stehen merkt man, dass Kinder Diskussionen
ausgesprochen sachlich führen und dabei auch noch sehr kreativ sind.
Wo steht Traunstein in zwanzig
Jahren?
Ich würde mir wünschen, dass die Stadt lebens- und liebenswerte Heimat bleibt, und dass sie sich weiter gut
entwickelt.
An was soll man zukünftig als Erstes denken, wenn man sich an Oberbürgermei-
ster Stahl erinnert?
An eine, trotz schwerer Zeiten, dynamische Entwicklung in Traunstein und daran, dass ich mich für die Stadt und für die Menschen die hier leben,
eingesetzt habe. Ich hoffe übrigens, dass mir das als Pensionist im bescheidenen Umfang, aber eben nicht mehr auf offener Bühne, auch weiter
gelingt.
Womit wir bei der Frage sind, wie man sich Fritz Stahl in Zukunft vorstellen
soll.
Ja, das bin ich schon häufig gefragt worden, ohne dazu eine konkrete Auskunft zu geben. Ich freue mich vor allem darauf, meine Enkelkinder öfter sehen zu kön-
nen, meine Frau und ich wünschen uns auch ein wenig mehr Dispositionsfreiheit was den Kalender anbelangt. Ich möchte gerne fotografieren und natürlich gibt es einiges aufzuräumen und zu ordnen. Außerdem hat man mir bereits das eine oder andere Ehrenamt
„angedroht“.
Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den
Weg?
Ich gebe keine Ratschläge. Wer meine Nachfolge antritt, wird selber seine
Ent- scheidungen treffen müssen.
Wie sollte Ihr Nachfolger beschaffen
sein?
Auch dazu gebe ich keine exakten Auskünfte. Aber was man für eine solche
Po- sition sicherlich mitbringen muss, sind Festigkeit und Zähigkeit Ziele zu verfolgen, aber auch die Fähigkeit, eigene Anliegen zurückzustellen und sich in den Dienst der
Allgemeinheit zu stellen. Die Verwaltung als ein Kollegialorgan zu empfinden und trotzdem Vorgaben machen zu müssen, gehört ebenfalls zu diesem „Geschäft“, wie die Pflege der Kontakte und Verbindung zu gesellschaftlichen Gruppen, Vereinen und Kirchen. Das sind die Punkte, die ich persönlich für wichtig
halte.
Der letzte Tag als Oberbürgermeister: Lassen Sie da die Sektkorken knallen oder sagen Sie zum Abschied nur leise
„Servus“?
Es wird wohl wie üblich eine Mischung von allem sein, und es kommt sicherlich auch auf das Tagesgeschäft des 30. April an. Das eine oder andere Glas Sekt wird aber schon geleert
werden.
Gibt es denn einen
Wunschnachfolger?
Natürlich. Als amtierender Oberbürgermeister möchte ich aber auch dazu keine
Auskunft geben.
Zum Schluss vielleicht noch einen Appell an die Bürger?
Mit
Appellen an die Bürger habe ich es nicht so, aber mit Wünschen. Und ich wün-
sche mir, dass die Traunsteiner selbst, aber auch die Menschen die hier arbeiten oder zu Gast sind, sich in Traunstein weiterhin wohlfühlen mögen.
Herr Stahl, ich danke Ihnen für das Gespräch sowie für die gute Zusammenarbeit in all den Jahren.
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