Seit 1984 leitet
Bürgermeister Eduard Wiesmann die Geschicke der Stadt Traunreut. Die
größte Stadt des Landkreises hat es nicht nur geschafft, Menschen aller
Herren Länder in die Gemeinschaft zu Integrieren. In den letzten Jahren
hat sie auch einiges getan, sich als Einkaufsstadt zu profilieren. Die STADTBROSCHÜRE
sprach mit dem 66-jährigen über die Gegenwart und über die Zukunft.
Herr
Wiesmann, fangen wir klein an, erklären Sie uns bitte die
Zukunft.
Das ist die schwierigste Frage. Zukunft kann man nicht erklären, es sei denn, man hätte prophetische Gaben. Man kann nur vorsichtige Prognosen
wagen. Die Entwicklung der Stadt hängt von der wirtschaftlichen Gesamtlage ab. Es gibt allerdings Anzeichen, daß es im Jahre 1998 einen wirtschaftlichen
Aufwärtstrend gibt. Dies könnte zu mehr Arbeitsplätzen führen und höhere Gewerbesteuer bringen, die für die Entwicklung der Stadt von großer Bedeutung sind.
Grundsätzlich braucht die Kommunalpolitik eine optimistische Grundhaltung, um erfolgreich zu sein. So sehe ich mit Zuversicht dem neuen Jahr entgegen.
Können Sie sich noch an den ersten Tag als Bürgermeister
erinnern?
Natürlich, das war am 1. Mai 1984. An diesem Tag wurde in St. Georgen ein Maibaum aufgestellt, bei dem ich als Bürgermeister der Stadt
teilnahm. Im Grunde war mir aber das Amt
ebenso weit nicht neu, weil ich ja als 2. Bürgermeister sehr viele Stadtratssitzungen leitete und den 1. Bürgermeister häufig zu vertreten
hatte.
Sie sind also seit 1984 als 1. Bürgermeister im Amt. Was hat sich geändert?
Sehr vieles. Die Stadt ist erheblich gewachsen. Im Jahre 1990 erhöhte sich auch die Zahl der Stadtratsmitglieder von 24 auf 30. Im übrigen ist hier in Traunreut sehr viel gebaut worden. Die städtische Architektur hat an
Urbanität gewonnen. In dieser Zeit hat sich Traunreut von einer reinen Industriestadt zu einer attraktiven Einkaufsstadt
entwickelt.
Das meinen Sie jetzt wirklich im Ernst?
Wenn Sie durch die Stadt gehen, können Sie dies auf Schritt und Tritt erfahren. Früher gab es keine
Traunpassage, in den Gewerbegebieten Nordost und West sind attraktive Geschäfte entstanden. Auch im Stadtgebiet haben
manche Geschäfte ein zeitgemäßes und einladendes Ambiente
bekommen.
Diese Antwort ist der Grund für meine Frage. Die ARGE Traunreut wird sich bedanken, schon im letzten Jahr gab’s Ärger, weil wir uns erlaubt haben, auf dem Titel der STADTBROSCHÜRE ein Foto der Traunpassage
abzudrucken. Im Gegensatz zu anderen Städten können sich hier die Mitglieder wirklich nicht beschweren, befinden sich doch zwei
dieser Einkaufsmöglichkeiten
Gott sei Dank im Zentrum der Stadt, so daß der Bürger nicht an die Peripherie
gelockt wird, was natürlich auch wieder nicht alle gut finden. Vielleicht sollte der eine oder andere hier
kooperativer denken, sich vielleicht selbst mal etwas einfallen lassen. Aber trotzdem, zu einer attraktiven Einkaufsstadt der Größenordnung Traunreuts gehören aber vor allem auch wesentlich mehr Fachgeschäfte, oder sind Sie da
anderer
Meinung?
Ich teile Ihre Meinung. Fachgeschäfte erhöhen natürlich die
Attraktivität einer Einkaufsstadt, sie sind eine belebende Ergänzung zu den Kaufhäusern. Eine empirische Umfrage, die vor einigen Jahren durchgeführt wurde, ergab aber auch, daß die Bürger Traunreuts weitere Einkaufsmöglichkeiten wünschen.
So gesehen haben Sie wieder Recht. Außerdem ist es so,
Traunreut bildet dahingehend sicherlich keinen Einzelfall, in dem man es einem selbständigen Kaufmann sowieso nie recht machen kann. Belebt sich die Innenstadt mit Fachgeschäften, wird erst einmal argwöhnisch
begutachtet, daß hier nichts angeboten wird, was man selbst schon anbietet. Außerdem werden Sie 10.000 Arbeitnehmer einer Branche eher unter
einen Hut bekommen, als zehn Unternehmer, die das gleiche Gewerbe betreiben. Und wer sich hier nicht nichts einfallen
läßt, wird letztendlich scheitern. Was allerdings zu bedauern wäre, weil es doch die vielen Fachhändler sind, die Leben in eine Stadt bringen. Aber kommen wir mal zu ihrem
beruflichen Werdegang, Was haben Sie vor Ihrer Wahl zum Bürgermeister
gemacht?
Ich war vorher Studiendirektor an der Staatlichen Fachoberschule in Traunstein und meine Fachrichtungen waren Germanistik, Geschichte,
Sozialkunde und
Ethik.
Sie gehören der Unabhängigen Wählerpartei an. Ist es
manchmal schwierig, als Bürgermeister objektiv allen Parteien gegenüber zu
sein?
Das sehe ich so: Im Grunde genommen spielt die
Parteizugehörigkeit in einem Stadtrat keine so große Rolle, als wie dies in Landes- oder
Bundesparlamenten der Fall ist, wo es um grundsätzliche politische Entscheidungen geht. In einem Stadtrat geht es um Sachentscheidungen, hier ist die Zusammenarbeit leichter, natürlich kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber es ist ja nun
wirklich keine ideologische
Frage, ob man diese oder jene Straße baut. Es sind eben Prioritäten zu setzen und jede Fraktion oder auch jeder Stadtrat sieht diese
Prioritäten etwas anders. Da muß man dann eben schauen, daß man zu einem Konsens kommt.
Bürgernähe ist eine der Eigenschaften, die man Ihnen
besonders hoch anrechnet. Ist das reine Philosophie oder steckt mehr
dahinter?
Ich versuche natürlich, so oft wie möglich präsent zu sein und das entspricht auch ganz meiner Philosophie und meiner Auffassung dieses Amtes. Ich wurde von den Bürgern gewählt und muß deshalb für sie auch greifbar und
ansprechbar sein.
Wie würden Sie das Klima in den Fraktionen untereinander
beschreiben?
Ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß das Verhalten
untereinander durchaus von Freundschaft und Menschlichkeit geprägt ist, bei allen
unter- schiedlichen Aussagen, was die Kommunalpolitik
angeht.
Bürgernähe bringt doch auch Probleme mit sich. Ist es nicht auch oftmals schwer, Privatleben und Bürgermeisteramt zu
trennen?
Es gibt natürlich auch Bürger, die mich in meiner Freizeit zu Hause anrufen, sogar auch nachts, wenn sich jemand gestört fühlt. Aber das sind nur ganz wenige Ausnahmen. Und es ist sicherlich auch keine Frage, daß man bei einem
Spziergang durch die Stadt immer wieder mal auf das eine oder das andere Thema angesprochen wird, was ich aber positiv
sehe.
Decken Sie Ihren persönlichen Bedarf auch hier in
Traunreut?
Ja.
Was fehlt Ihrer Meinung nach noch, wo sehen Sie reale
Chancen für
Jungunternehmer?
In der Palette der kleinen Geschäfte, wie zum Beispiel bei
Boutiquen, ist sicherlich ein Nachholbedarf
vorhanden.
Aber gerade jetzt machte ja hier im Zentrum wieder eine
Modeboutique zu.
Das ist leider richtig. Die Gründe für die Schließung sind mir nicht bekannt. Es ist aber bestimmt
kein leichtes Unterfangen, sich in Traunreut behaupten zu können, weil in einer Industriestadt das Durchschnittseinkommen nicht allzu hoch ist. Notwendig sind vor allem Ideenreichtum, Mut und Fachkompetenz, deren Ruf über die Grenzen Traunreuts
hinausgeht.
Trotzdem hat Traunreut in den vergangen Jahren enorm
zugelegt, wie Sie schon richtig sagen. Die Bürger Pallings deckten früher ihren Bedarf zum größten Teil in Trostberg. Heute fahren viele Kunden,
geschockt von den immer fleißig aufschreibenden Politessen, lieber nach Traunreut.
Ich habe ja schon eingangs erwähnt, daß Traunreut durch die
verschiedenen Einkaufsmöglichkeiten an Attraktivität hinzugewonnen hat. Ich sehe heute sogar oft Autonummern benachbarter Landkreise, was mich natürlich freut, weil ich merke, daß unser Angebot, auch über die Stadtgrenzen hinaus,
angenommen
wird.
Erklären Sie uns doch bitte einmal, wo sich hier in Traunreut das Stadtzentrum
befindet.
Das Stadtzentrum befindet sich ganz eindeutig am Rathausplatz.
Warum
schmunzeln Sie bei dieser Antwort? Ist es vielleicht nicht auch so, daß sich hier, ähnlich wie in Waldkraiburg, immer wieder neue Zentren
auftun?
Nein. Traunreut hat seit einer Gründung ein Zentrum, das ist der Rathausplatz. Es wäre sicher wünschenswert, wenn er auch geschäftliches Zentrum wäre. Der derzeitige Zustand ist das Ergebnis historischer Entwicklung. Die neue Buchhandlung Grütter ist der erste Schritt zur geschäftlichen Revitalisierung. Im
Zuge der Städtebauförderung werden wir den Rathausplatz neu gestalten. Es könnte auch ein Ansporn sein, neue Geschäfte entstehen zu
lassen.
Parken in der Innenstadt kostet hier kein Geld. Wird dies so bleiben oder planen Sie bereits eine Änderung?
Das ist unser großes Plus hier in Traunreut, und daran werden wir auch nichts ändern.
Haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie einem Bürger negativen Bescheid geben müssen? Unpopuläre Dinge zu vertreten ist ja nicht gerade jedermanns
Sache.
Nun ja, es ist nie eine Freude, wenn man einem Bürger einen
negativen Bescheid übermitteln muß, aber wir haben uns bei unseren Entscheidungen an gesetzliche Grundlagen zu halten.
Was verlangen Sie von Ihren Mitarbeitern im Rathaus außer
Leistung?
Ich verlange vor allem Höflichkeit. Darüber hinaus lege ich ganz besonderen Wert darauf, daß der Bürger immer das Gefühl verspürt, gut beraten und ernst genommen worden zu sein.
Welchen Anteil haben Sie an der Personalpolitik im
Rathaus?
Im Rathaus ist es so, daß die Einstellungen natürlich im
Hauptausschuß erfolgen, außer bei den Arbeitern. Selbstverständlich führen wir zuvor
not- wendige Einstellungsgespräche mit Neubewerbern und der Hauptausschuß stimmt dann meistens dem zu, was wir
vorschlagen.
Es gibt Stimmen, die Sie als optimalen Bürgermeister sehen, aber es gibt auch Gegenstimmen. Wie gehen Sie damit
um?
Es wäre ein Wunder, wenn man einhundertprozentig anerkannt würde, aber dieses Wunder erwarte ich schon gar nicht. Da geht es mir so, wie
allen anderen Politikern: Die einen sind für, die anderen gegen mich. Wichtig ist es dann immer, daß man bei einer Wahl die Mehrheit
hat.
Ein Patentrezept
gegen Arbeitslosigkeit wäre doch sicherlich, Arbeit wieder bezahlbar zu machen. Nicht unbedingt mit Lohnkürzungen, eher mit Verlängerung der Arbeitszeit. Sehen Sie das anders?
Was die Arbeitszeit der öffentlich Bediensteten angeht, bin ich der Meinung, daß wir hier derzeit eine gute Lösung vorfinden. Was ich allerdings nicht ganz in Ordnung finde ist, daß Beamte 40 Stunden, Angestellte dagegen nur 38,5 Stunden arbeiten müssen.
Dafür sind Beamte aber auch unkündbar.
Auch ein Angestellter, der über einen langen Zeitraum hinweg im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, ist
unkündbar, hat also auch einen sicheren Arbeitsplatz. Ein Beamter hat da eher Nachteile, muß die vorgeschriebene Laufbahn einhalten und verdient deshalb oft erst viel später das, was ihm eigentlich für seine Leistung zusteht. Ein Angestellter dagegen bekommt seine Arbeitsleistung bereits vom ersten Tag an angemessen
bezahlt.
Was ist los mit Siemens? Viele Bürger haben Angst, den Arbeitsplatz zu
verlieren.
Das Siemens-Leuchtenwerk ist von einer amerikanischen Firma übernommen worden. Nach mir vorliegenden Informationen ist die Auftragslage gut, die Stimmung ist verhalten optimistisch. Aber auch von den übrigen
Industrie- betrieben, wie Bosch-Siemens und Heidenhain liegen mir positive Berichte vor.
Macht Ihnen die Politik noch Freude, oder wandelt Sie hin und wieder der Verdacht an, es könnte ein Leben ganz ohne Politik
geben?
Mir macht Politik auch weiterhin Freude. Das zeigt sich ja auch schon daran, daß ich mit 64 Jahren noch kandidiert habe, obwohl ich in einem ruhestandsfähigen Alter wäre. Meine Dienstzeit endet, wenn ich 70 Jahre alt bin. Ich gehe gerne ins Amt, finde es einfach schön, trotz aller Höhen und Tiefen. Ich habe Spaß daran, die Zukunft Traunreuts
mitzugestalten.
Welchen Stellenwert hat für Sie Umweltschutz?
Einen sehr hohen. Seitens der Verwaltung, aber auch aus meiner ganz persönlichen Sicht heraus wird stets darauf geachtet, daß alle anfallenden
Probleme nach umweltverträglichen Kriterien gelöst
werden.
Welche Ziele haben Sie sich für Ihr Amt noch
vorgenommen?
Da gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die noch zu realisieren
wären: Ein neues Feuerwehrhaus, ein neuer Stadtsaal wäre wünschenswert, auch der Wunsch nach einer neuen Stadtbücherei ist groß. Das sind alles Wünsche, die wir momentan noch vor uns herschieben. Wir warten erst mal ab, bis sich die
finanzielle
Situation entspannt hat.
Hand aufs Herz. Gibt es auch etwas, was Ihnen an Traunreut nicht gefällt, was Sie lieber ändern möchten?
Es gibt sehr viele Dinge, die noch aus der Gründerzeit stammen und die es zu ändern gilt. Wir sind bemüht, im Rahmen der Städtebauförderung solche Dinge zu bereinigen, um eine hohe Qualität in diese Stadt zu
bringen.
Sie werden in diesem Jahr 66. Wird da anderes außer Karriere wichtig, wenn man älter
wird?
Ich habe gar nicht so nach Karriere gestrebt, es hat sich alles
einfach so entwickelt. Auch muß ich sagen, daß für mich Politik nicht das einzigste ist. Ich schaffe mir durchaus Freiraum für die schönen Dinge des Lebens, wie Lesen, Musik hören, Stätten der Kultur und der Kunst zu besuchen. Ich spiele Orgel,
gelegentlich sogar in der Kirche. Ich versuche, das Geistige und das Schöne dieser Welt zu erleben. Das ist ein beruhigender Ausgleich zu den Tagesgeschäften.
Läßt die Kondition schon etwas nach?
Derzeit fühle ich mich noch sehr wohl und fit genug, um den
Verpflichtungen nachkommen zu können.
Wie sehen Sie denn die heutige Jugend?
Die ist sicherlich anders, als wie die Ihre oder meine. Die heutige Jugend hat ganz andere Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Feststeht aber auch, daß sie es heute schwieriger hat, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Zu meiner Zeit war das keine Frage, da gab es für jeden etwas. Der Tüchtige findet aber auch
heute immer wieder Möglichkeiten einer sinnvollen Lebensgestaltung.
Was halten Sie von Helmut Kohl?
Ich halte ihn für einen guten Bundeskanzler.
Hat Eduard Wiesmann auch ein paar Schwächen?
Nein.
Wirklich nicht?
Natürlich habe auch ich meine Schwächen, von denen ich allen
voran die Unduldsamkeit nennen möchte. Die Schwächen konstatieren aber vor allem die, mit denen man täglich zutun
hat.
Was amüsiert Sie?
Ein Komödie kann mich amüsieren, ein guter Witz, eine gut formulierte Satire, eine geistreiche
Bemerkung.
Ein paar Worte zum Rassismus?
Der Rassismus gehört zu den traurigsten Kapiteln der jüngsten Deutschen Geschichte. Rassismus und Fremdenfeindlichkeiten sind entschieden abzulehnen. Ich kann für Traunreut feststellen, daß wir hier keine größeren
Probleme haben und daß sich die Bürger aus vielen Nationen voll in unsere Stadt integriert haben.
Was assoziieren Sie mit Traunreut?
Aufbauleistung, tüchtige Mitbürger, Integrationsfähigkeit,
Liberalität.
Zum Schluß beginnen wir noch einige Sätze, die Sie bitte zu
En- de führen: Wenn ich heute könnte wie ich wollte, würde
ich...
...dieses Amt wieder ergreifen.
Mein Beruf bedeutet mir...
...Erfüllung und Freude.
Ein Leben ohne Arbeit ist ...
...für mich undenkbar.
Geld bedeutet mir...
...viel, aber nicht alles.
Ich bin neidisch auf...
...niemanden.
Der wichtigste Rat an meine Kinder war...
...einen Beruf zu erlernen und diesen auch mit Engagement und Energie auszuführen.
Ich sehe mich als Vorbild für...
...meine Familie.
Mein größtes Laster ist...
...Rauchen.
Herr
Wiesmann, besten Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg für die weitere Zukunft.
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