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DR. EBERHARD BIESINGER 

Erster Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Traunstein
Edition: Traunstein 2004

   
   
   
   
   
     
     
     
   
 

Dr. Eberhard Biesinger ist erster Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Traunstein. Verleger Ralf Hansen unterhielt sich mit ihm über die derzeitige Situation im Gesundheitswesen und über die Zukunft der Ärzte. Der Ärztliche Kreisverband ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und vertritt die Landesärztekammer Bayern auf Landkreisebene. Ihr Aufgabengebiet umfasst die Wahrnehmung aller Interessen der rund 800 landkreisweit tätigen Ärzte bezüglich ihrer Berufsausübung, die Überwachung des ärztlichen Berufsrechts, aber auch die Vermittlung bei Streitigkeiten unter den Ärzten, sowie zwischen Ärzten und Patienten. Eine weitere Aufgabe ist die Information der Öffentlichkeit über aktuelle gesundheitliche Fragen. Vorsitzender dieser Körperschaft im Landkreis Traunstein ist Dr. Eberhard Biesinger - Verleger Ralf Hansen führte mit ihm ein ausgiebiges Gespräch.

 

Dr. Biesinger, das deutsche Gesundheitswesen kränkelt. Welche Probleme beschäftigen Sie derzeit am meisten?

Es kränkelt nicht nur. Es befindet sich in einer Systemkrise und leidet unter Fieber, Atemnot und Lähmung - Ausgabenfieber, finanzieller Atemnot und Innovationslähmung.

Davon ist mittlerweile die gesamte Republik betroffen. Welche Probleme bereiten den Ärzten am meisten Kopfzerbrechen?

Im Moment haben wir große Sorgen mit dem so genannten Gesundheitsmodernisierungsgesetz, wobei ich hier ausdrücklich betonen möchte, dass dieses Gesetz nicht von Ärzten, sondern von Politikern gestaltet wurde. Was als so genannte Reform proklamiert wird, bedeutet ganz eindeutig eine Mehrbelastung der Patienten, sowohl im ambulanten Bereich bei der Versorgung durch den niedergelassenen Arzt, aber auch im Krankenhaus.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?

Mehrere. Nicht nur die Zuzahlung für Medikamente wird zukünftig deutlich höher ausfallen, es kommt auch noch die vieldiskutierte Krankenkassengebühr hinzu, die man Irreführenderweise als Praxisgebühr deklariert hat. Ab 2004 muss zukünftig für jedes Quartal einmalig zehn Euro entrichtet werden, die der jeweilige Arzt, den man in diesem Quartal als ersten besucht, egal ob Haus- oder Facharzt, dann un- entgeltlich mittels kompliziertem Verfahren über die Kassenärztliche Vereinigung, an die Krankenkassen weiterzuleiten hat. Diesen vermehrten Aufwand zu Lasten der Ärzteschaft sehen wir als kritisch, zumal ausgerechnet wurde, dass von den besagten zehn Euro nach Abzug sinnloser Verwaltungskosten, die natürlich nicht uns Ärzten zufließen, den Kassen tatsächlich nur wenig mehr als zwei Euro übrig bleiben. Erhält der Patient keine Überweisung zum nächsten Haus- oder Facharzt- besuch, darf er dort noch einmal den gleichen Betrag entrichten.

Wer nur einen einfachen Schnupfen hat, überlegt sich dann sicherlich, ob er nicht gleich eine Apotheke aufsucht und sich ein Mittel holt.

Und genau diese Form der Selbstmedikation sehen wir als potentiell gefährlich an. Arztbesuche werden weniger, was unter Umständen dazu führt, dass drohende Komplikationen verschleppt oder übersehen werden.

Diese Aussage kann natürlich auch zu dem Vorwurf führen, dass hier lediglich finanzielle Einbußen beklagt werden.

In den Köpfen der Menschen hat sich über Jahre hinweg manifestiert, dass ein Arzt immer zur Gruppe der Besserverdienenden gehört, was in bestimmten Fällen auch der Wahrheit entspricht. Doch in einigen Praxen sieht die Realität völlig anders aus. Viele Ärzte kämpfen bereits ums Überleben und sehen der Zukunft mit Sorge entgegen. Erste Insolvenzen hat es bereits gegeben.

In der Skala der Berufe mit dem höchsten Ansehen, steht der Arzt jeden- falls noch mit an erster Stelle.

Das mag stimmen, doch damit lassen sich wohl kaum Rechnungen bezahlen. Wer heute eine neue Praxis eröffnen oder eine bestehende übernehmen möchte, der sollte vor allem mit einem ausreichendem Erbe ausgestattet sein, denn zunächst einmal steht eine harte Ausbildung bevor. Sechs Jahre Studium mit anschließender Facharztausbildung über fünf oder mehr Jahre, bei der sicherlich durchschnittlich nicht mehr als 3.000 Euro verdient werden. Bei operativ ausgebildeten Ärzten können Sie dann noch bis zu 15 Jahre hinzurechnen, so dass man erst Mitte 30 von einer Niederlassung als Arzt träumen darf. Aber mit Eröffnung oder Übernahme einer Praxis geht auch ein hohes Maß an Schulden auf den Mediziner über, die er im Laufe seines Lebens abbezahlen muss. Darüber hinaus verlangt der rasante technische Fortschritt ständige Neuinvestitionen, wobei ein Computer im Vergleich zur übrigen Praxis-Hardware die wohl günstigste Anschaffung darstellt. 

Hinzu kommt ein vermehrter Verwaltungsaufwand, wir leben ja in Deutschland.

Der Verwaltungsaufwand ist in den letzten Jahren so enorm gestiegen und wird auch zukünftig noch weiter steigen, dass dem Arzt die wertvolle Zeit zur Gesundheitsberatung seiner Patienten fehlt.

Von steigenden Personalkosten sind Ärzte sicherlich auch betroffen.

Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auch dieses Thema ansprechen. Wissen Sie, was in den vielen Diskussionsrunden der Medien so gut wie nie angesprochen wird? Wir geben Frauen eine berufliche Perspektive! Der Beruf der Arzthelferin ist ein reiner Frauenberuf und bedeutet für viele junge Berufsanfänger, aber natürlich auch für alle anderen Mitarbeiterinnen eine Integration in die Berufswelt - und das oft ein ganzes Leben lang. Es liegt auf der Hand, dass auch die hohen Praxisnebenkosten und die Ausbildung unserer Mitarbeiterinnen einen zunehmenden Finanzfaktor dar- stellen. Insgesamt wird die Gewinnsituation des Arztes zunehmend minimiert, bei allen eingegangenen und bestehenden finanziellen Risiken. Hinzu kommt ein Abrechnungssystem, bei dem nicht voraussehbar ist, was wir in einem halben Jahr verdienen. Notwendige Investitionen stehen somit auf wackeligen Füßen.

Bilanzieren wir die genannten Faktoren, so ist es einem jungen Menschen nicht unbedingt zu empfehlen, sich für diesen Beruf zu entscheiden.

Ohne großes Eigenkapital oder eine Bündelung von Interessen, zum Beispiel in die Bildung einer Gemeinschaftspraxis oder übergreifende zusammenarbeitende Strukturen, würde ich die Zukunft eines jungen, niedergelassenen Arztes jedenfalls als schwierig bezeichnen. Der Arzt als junger Mensch, nimmt mit viel Enthusiasmus und Idealismus den Arztberuf auf, weil er seinen Mitmenschen helfen will. Mangels betriebswirtschaftlicher Ausbildung hat er in der Regel überhaupt keine professionelle Ahnung in wirtschaftlichen Belangen und kann damit in eine finanzielle Katastrophe geraten.

Wie sehen Sie die Zukunft, was wird sich ändern?

Das deutsche Gesundheitssystem ist in seiner gegenwärtigen Form so nicht zukunftsfähig. Einzelkämpfer werden wohl, wirtschaftlich gesehen, keine Zukunft mehr haben, außer vielleicht im Hausarztbereich überwiegend ländlicher Gebiete. Unsere Verbände raten deshalb dringend dazu, so genannte Apparategemeinschaften zu bilden. Übergeordnete und vernetzte Gemeinschaftspraxen zwischen verschiedenen Facharztgruppen, um die Kosten niedrig und um Schritt zu halten mit dem notwendigen medizinischen Fortschritt. In Traunstein gibt es bereits der- artige Einrichtungen im Bereich der Hautärzte, der Orthopäden und der Radiologen, die ein positives Beispiel geben.

Neue Reformgesetze sollen es zukünftig auch ermöglichen, dass fremde Geldgeber sich finanziell an einer Praxis beteiligen können.

Reformen im wohlverstandenen Sinne, das hieß früher einmal, etwas zu verändern zugunsten der Mehrheit aller Bürger. Heute meint Reform vor allem Abbau von sozialen Sicherungen, privatisieren, deregulieren, reformieren, damit Arbeit billiger wird. Wohin dies führt, sieht man ja am besten an unserer gesamtwirtschaftlichen Lage. Die neuen Gesetze sollen jedenfalls erreichen, dass die medizinische Versorgung durch Kooperation von Ärzten, integrative Versorgung mit Krankenhäusern oder anderen Geldgebern optimiert wird. Wie viele meiner Kollegen sehe ich je- doch einer solchen Gesetzgebung mit großer Sorge entgegen, weil dadurch die Unabhängigkeit und die Selbständigkeit des Arztberufes in große Gefahr gerät. Außerdem besteht auch die Gefahr, dass die niedergelassenen Fachärzte in ihrer Existenz bedroht sind, weil Kliniken oder Krankenhäuser als Konkurrenten auf- treten, in dem sie Arztsitze aufkaufen, ihre Mitarbeiter dort hinschicken und mehr oder weniger als angestellte Ärzte dort beschäftigen.

Die neue Gesundheitsreform sieht auch vor, dass der Patient zukünftig mehr für sich selbst verantwortlich sein wird.

Da sind wir uns mit den Politikern einig und rufen auch dazu auf, dass jeder mehr Verantwortung für seinen Körper bringt.

Also weg von der Vollkasko-Mentalität.

Richtig. Es geht auch nicht an, dass einige wenige Menschen Extremsportarten ausüben und, falls es zu Komplikationen kommt, die Allgemeinheit dann dafür zahlt. Verbände und auch Krankenkassen fordern hier eine Zusatzversicherung, was auch ich für sinnvoll halte. Vollkasko-Mentalität abbauen heißt vor allem auch lernen, mit dem eigenen Körper hinsichtlich Ernährung, Sport und Lebensqualität besser umzugehen.

Dadurch könnte auch der Bedarf an Medikamenten und physiotherapeutischen Maßnahmen gesenkt werden.

Das ist die logische Folgerung. Gerade bei den physiotherapeutischen Maßnahmen sind insbesondere die Orthopäden in der verzweifelten Lage, dass sie natürlich gerne Rezepte für derartige Maßnahmen ausstellen würden. Die derzeitige Gesetzesregelung ist aber so konzipiert, dass ein Arzt der nach Meinung der Krankenkassen zuviel verordnet hat ohne dass dafür eine klare Bemessungsgrundlage be- steht, beispielsweise eine verordnete Krankengymnastik aus eigener Tasche bezahlen muss. Dies führt heute zu einer extrem großen Verunsicherung, vor allem bei Orthopäden und Chirurgen. Ich denke, dass nur die wenigsten der Patienten von dieser Tatsache Kenntnis haben, weil ja immer häufiger der Vorwurf in den Raum gestellt wird: Mein Arzt verschreibt mir nichts!

Vorbeugende und Symptome lindernde Medikamente dürfen auch nicht mehr verschrieben werden.

Nur Medikamente, die ernsthafte Krankheiten behandeln, sind jederzeit zu ver- ordnen.

Im Gespräch ist eine elektronische Chipkarte. Bekommen wir jetzt den gläsernen Patienten?

Eine sehr gute Frage. Zunächst einmal sehe ich die Angst davor völlig unbegründet, schließlich arbeiten wir auch in vielen anderen Bereichen, beispielsweise im Um- gang mit Geld, bereits mit ähnlichen Karten. Für den Mediziner hat sie den großen Vorteil, auf einen Blick alle wichtigen Informationen zu erhalten. Bei der Verschreibung eines notwendigen Medikaments kann er anhand des Medikamentenplans auf dem Chip sofort erkennen, ob aufgrund vorher, durch einen anderen Arzt verordnete Medizin, Nebenwirkungen zu erwarten sind. Er hat Zugriff auf Röntgenbilder oder Laborbefunde und kann somit unnötige Wiederholungen technischer Untersuchungen vermeiden.

Ihre Aufgabe als Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes ist es, Patienten und Ärzte gleichermaßen zu beraten. Mit welchen Problemen werden Sie konfrontiert?

Patienten wenden sich an mich, wenn sie glauben, schlecht behandelt worden zu sein oder wenn es zu Streitigkeiten mit dem behandelnden Arzt gekommen ist.

Der Volksmund sagt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Hier muss ich mich neutral verhalten. Ich werde immer versuchen, die Enttäuschun- gen und aufgestauten Emotionen eines Patienten mit dem medizinischen Anspruch des Arztes in Einklang zu bringen, zu vermitteln und zu erklären. Ziel ist es, dadurch wieder ein positives Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu schaffen.

Sie sind Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten. Wie wollen Sie da Entscheidungen für den Fachbereich Radiologie treffen?

Zur Klärung fachlicher Fragen stehen mir im ärztlichen Kreisverband zahlreiche kompetente Kollegen zur Verfügung. Sollten sich allerdings juristische Gesichts- punkte ergeben, muss ich die Ärztekammer und deren Spezialisten hinzuziehen. Diese Gutachter- und Schlichtungsstellen sind in der Regel durch Ärzte und Juristen besetzt. Ihre Stellungnahme zur Frage eines Behandlungsfehlers oder eines Schadenersatzanspruches ist allerdings für die Beteiligten und ein eventuell anschließen- des Gerichtsverfahren nicht bindend. 

Mit welchen Fragen wenden sich die Ärzte an Sie?

Da geht es sowohl um fachliche Aspekte die geklärt werden sollen, als auch um Fragen, die finanzielle Belange betreffen. Es gilt Fragen zur Ausübung des Berufes zu klären, wie und wo man beispielsweise werben darf oder Veranstaltungen statt- finden dürfen, welche Fortbildungen gemacht werden können und natürlich die Organisation der Fortbildungen in unserem Landkreis. Für deren exakte Planung und Durchführung ist Dr. Knut Leistikow zuständig. Seiner Arbeit ist es übrigens zu verdanken, dass unser Landkreis Traunstein die höchsten Aktivitäten an ärztlicher Fortbildung in ganz Bayern vorzuweisen hat.

Wer unterstützt Sie bei dieser Tätigkeit?

Neben den zwölf gewählten Kollegen aus dem gesamten Landkreis, die mir mit fachlichem Rat zur Seite stehen, habe ich zwei Sekretärinnen, die mich in meinen Tätigkeiten unterstützen.

Welche Qualität muss eine ärztliche Beratung haben?

Jeder Patient hat Anspruch auf eine qualifizierte und sorgfältige medizinische Beratung und Behandlung nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst.

Dr. Biesinger, wie stehen Sie zur Selbstbestimmung am Ende des Lebens?

Da gibt es ganz klare Richtlinien. Auch bei der Behandlung Sterbender hat der Arzt das Selbstbestimmungsrecht und die menschliche Würde des Patienten zu be- rücksichtigen. Patienten im Sterben haben das Recht auf eine angemessene Betreuung, insbesondere auf schmerzlindernde Behandlung. Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen, ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch wenn der Patient sie verlangt. Allerdings können Patienten für den Fall, dass sie nicht mehr entscheidungsfähig sind, vorsorglich im Rahmen einer so genannten Patientenverfügung auf lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen verzichten. Der in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille ist für den Arzt im Grundsatz bindend. Das letzte Wort hat unter Umständen das Vormundschaftsgericht.

Kann der Patient seine Behandlungsunterlagen einsehen?

Ja, er hat das Recht, die ihn betreffenden Behandlungsunterlagen einzusehen und auf seine Kosten Kopien oder Ausdrucke von den Unterlagen fertigen zu lassen.

Wir haben in unserem Gespräch das Bild des Arztes mal von der anderen Seite betrachtet und ich denke, so manches Klischee damit beseitigt. Ihr Schlusswort.

Trotz aller Diskussionen um die vielen Probleme die uns derzeit Sorgen bereiten, sehen wir Ärzte uns in erster Linie dem Einzelnen, unserem Gegenüber, unseren Patienten verpflichtet und erst in zweiter Linie dem Kollektiv oder dem Gemein- wohl. Alle Versuche, hier einen Paradigmenwechsel einzuleiten, sind mit uns nicht zu vollziehen. Das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis ist und bleibt für unser Tun und für unser Selbstverständnis die wesentliche Größe. Daran hat sich im Prinzip seit Hippokrates nicht viel getan und wird sich auch nichts ändern.

Dr. Biesinger, ich danke Ihnen für das Gespräch.

     
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